
Bereits gestern, beim Abstieg vom Falaise d’Aval, fielen uns unten, dort wo auch der Weg zum ”Tor” des Falaise beginnt, diverse Zettel mit Warnungen auf, die an die Wand einer Atlantik-Wall-Bunker-Ruine gepinnt sind. In mehreren Sprachen (auch Deutsch) wird darauf hin gewiesen, dass man den Rückweg mindestens 4 Stunden vor Hochwasser (Flut) beginnen solle. Daneben hängt eine Gezeitentabelle. Heute wird das Hochwasser um 9:30 Uhr und um 22:05 Uhr sein. Da vormittags die Sonne ungünstig steht, bleibt also nur der Nachmittag zum Fotografieren an diesen Felsen.
Den Vormittag nutzen wir deshalb zu einem Ausflug nach Le Havre.
Hier mündet die Seine in den Atlantik und ihre breite Mündung wird von einem gewaltigen Bauwerk, dem Pont de Normandie überspannt, einer Autobahnbrücke, die an zwei riesigen Pfeilern aufgehängt ist und so die Haute Normandie mit der Basse Normandie verbindet. Leider ist gegen Mittag, als wir dort ankommen schon sehr viel Dunst über dem Wasser, so dass es sich auch nicht lohnt, die Mautgebühr von zweimal ¬ 5,20 (für Hin- und Rückfahrt) auszugeben, um von der anderen Seite die Sonne im Rücken zu haben, was für die Fotos von Vorteil wäre. So sind die Aufnahmen, die ich mache, wenig zufriedenstellend. Wir fahren anschließend durch die Stadt, vorbei am neu erbauten und 2012 eröffneten Stadion, das ganz in Blau glänzt und dann entlang der Küste nach Norden, wieder Richtung Étretat. Unterwegs gibt es mal wieder eine Gedenkstätte, die wir uns anschauen, das Memorial de Bruneval. Hier hat damals ein Luftlandekommando eine deutsche Radarstation überfallen und durch Diebstahl von wichtigen Teilen die Station unbrauchbar gemacht. Kurz vor Étretat finden wir rechter Hand hinter einem schmiedeeisernen Zaun versteckt, noch ein nettes Anwesen, das Chateau de Frefosse, das leider nicht zugänglich ist.
Das Womo stellen wir heute am östlichen Ortsrand ab und nehmen die Räder, um damit an den Strand zu fahren. Wir ketten sie dort an und machen uns auf den Weg zur Porte d’Aval. Bis zur Flut sind es noch gut 6 Stunden. Der Kiesstrand ist großenteils abgetrocknet und ein paar Dutzend Leute gehen in unsere Richtung oder kommen uns entgegen. Beim Näherkommen erkennen wir, dass man in die Höhle links von dem großen Tor gehen muss, an deren dunklem Ende sich eine senkrechte, in den Fels eingelassene etwa 6 Meter hohe Eisenleiter findet. Eine Lücke im ”Gegenverkehr” abwartend klettere ich hinauf und helfe dann einem kleinen Mädchen, das mit seinem Vater hinter mir nach oben klettert. Kerstin schafft es bis kurz vor das obere Ende der Leiter, wo die normalen Sprossen nochmals in dickere vierkantige Eisen über gehen, dann verlässt sie der Mut und sie steigt wieder hinab.
Wir beschliessen, dass ich alleine weiter gehe. Es folgt ein mannshoher, etwa einen Meter breiter Durchgang durch den Fels, der mehrere Knicke hat und in dem es deshalb in der Mitte stockfinster ist. Durch ”Andrücken” des Auslöser meiner Kamera nutze ich das AF-Hilfslicht um wenigstens etwas zu sehen und nicht am nächsten Knick mit dem Kopf gegen die Wand zu laufen. Drüben geht es über grobe Stufen im Fels wieder hinab auf den Kies. Etwa 400 Meter weiter am nächsten Felsentor, der Manneporte, wiederholt sich das mit der Leiter, nur ohne Felsdurchgang. Dafür steht die Leiter schräg an der Felswand, ist etwa 10 bis 12 Meter lang und total verrostet. Dahinter sind nur noch wenige Leute unterwegs, sie stellt für viele wohl doch ein echtes Hindernis dar. Ich stapfe weiter über den Kies bis zum nächsten Felsvorsprung, den ich zwar erklimmen kann, aber keinen Abstieg mehr finde. Von dort mache ich nun eine Reihe Aufnahmen von den beiden Toren und der ”Nadel”, einem spitzen, ca 70 Meter aus dem Meer aufragenden Fels, direkt neben der Porte d’Aval.
Dann höre ich eine Trillerpfeife und erkenne am vorletzten Felsen, den ich überwunden habe einen winkenden Mann. Meint der mich? Ich reagiere erst mal nicht, aber er pfeift und winkt weiter. Diesmal winke ich zurück worauf das Pfeifen verstummt. Ich mache ein paar letzte Fotos und beginne dann den Rückweg. Der Mann, ein Uniformierter, kommt mir entgegen und trifft mich auf halbem Weg zur Manneporte. Auf Französisch (was anderes kann er nicht) erklärt er mir, dass es Zeit zur Rückkehr sei und außerdem unvorsichtig von mir, ganz alleine da raus zu laufen. Er hat recht, denn erst auf dem Rückweg wird mir bewusst, wie anstrengend das Laufen über diesen grobe, schräg abfallenden Kiesstrand ist und dass man für den Weg doch ordentlich Zeit benötigt, mehr als man vielleicht vorher vermutet. Wir gehen gemeinsam zurück. Unterwegs fängt er noch mehrere Personen ab, die in die andere Richtung wollen und schickt sie zurück. Als später bei auflaufendem Wasser zu sehen ist, dass die Leitern und der Durchgang bei Hochwasser sicher überflutet werden, weiß ich, warum das Timing hier so wichtig ist. Klar, ein Boot würde helfen…hab ich aber nicht.
Ich komme jedenfalls wohl behalten, aber vor Anstrengung klatsch nass geschwitzt wieder an der Strandpromenade an, wo Kerstin auf mich wartet. Die Fotos sind gemacht, die Mühe war es wert. Auf dem Rückweg mit dem Fahrrad durch den Ortskern versorgen wir uns noch mit zwei schönen Steaks aus einer echten Boucherie–Charcuterie (=Metzgerei), die wir später auf unserem ”Bauernhofcampingplatz” auf unserm Mini-Holzkohlegrill zubereiten. Ein weiterer wunderschöner Tag geht zu ende.
